Die verhaltensorientierte öffentliche Politik erlebt einen grundlegenden Wandel, angetrieben von der kulturevolutionären Verhaltenswissenschaft. Traditionelle Ansätze, die häufig wegen ihres engen Fokus auf WEIRD-Populationen (Western, Educated, Industrialized, Rich, Democratic) kritisiert werden, erweisen sich als unzureichend, um die komplexen und vielfältigen Realitäten globaler Gesellschaften zu erfassen. Diese neue Entwicklungsphase führt ein innovatives Konzept ein, das kulturelle und genetische Perspektiven miteinander verbindet, um Politiken zu entwickeln, die präzise auf die Komplexität menschlichen Verhaltens abgestimmt sind. Indem sie die Dynamik kultureller Evolution und die prägende Kraft sozialer Normen berücksichtigt, bietet dieser Ansatz ein differenziertes, wirksames und nachhaltig tragfähiges Modell für die Gestaltung öffentlicher Politiken, die in unterschiedlichen kulturellen Kontexten Resonanz finden.

Inhalt:

Einleitung

In den letzten Jahrzehnten hat sich die verhaltens­orientierte öffentliche Politik zu einem zentralen interdisziplinären Forschungsfeld entwickelt, das Erkenntnisse aus Psychologie, Soziologie und Wirtschafts­wissenschaften vereint. Diese Entwicklung markiert einen paradigmatischen Wandel: Weg von traditionellen ökonomischen Modellen, die von rationalem und nutzen­maximierendem Verhalten ausgehen, hin zu einem differen­zierteren Verständnis der vielschichtigen Dynamiken realer menschlicher Entscheidungs­prozesse.

Trotz bedeutender Fortschritte treten weiterhin zentrale Heraus­forderungen zutage. Die Replikationskrise in der Psychologie und die übermäßige Abhängigkeit von WEIRD-Populationen (Western, Educated, Industrialised, Rich, Democratic) haben die Grenzen etablierter Ansätze offengelegt. Diese Defizite verdeutlichen die Notwendigkeit eines kulturell sensibleren Zugangs, der die Vielfalt der Kontexte berücksichtigt, in denen menschliches Verhalten stattfindet.

Die Vierte Welle der verhaltens­orientierten öffentlichen Politik, die auf der kultur­evolutionären Verhaltens­wissenschaft basiert, stellt ein zukunfts­weisendes Konzept dar, um diese Grenzen zu überwinden. Durch die Integration kultureller und genetischer evolutionärer Perspektiven bietet dieser Ansatz ein umfassenderes Verständnis menschlichen Verhaltens und ermöglicht die Entwicklung von Politiken, die sowohl effektiver als auch kontextsensibler sind.

Dieser Artikel untersucht die theoretischen Grundlagen dieses neuen Paradigmas und analysiert dessen praktische Implikationen für die Gestaltung öffentlicher Politiken.

Historischer Kontext: Die Entwicklung verhaltens­orientierter Politik

Die Entwicklung der verhaltens­orientierten öffentlichen Politik lässt sich in drei klar abgegrenzte Wellen einteilen, die jeweils auf den Erkenntnissen früherer Ansätze aufbauen und diese weiter­entwickeln.

Die erste Welle brachte psycholo­gische Konzepte in die Wirtschafts­theorie ein und stellte die Annahme rationaler Entscheidungs­findung grundlegend in Frage. Wegweisende Arbeiten von Herbert Simon, Daniel Kahneman und Amos Tversky schufen die Basis für ein neues Verständnis von Entscheidungs­prozessen, indem sie die zentrale Bedeutung von Heuristiken und kognitiven Verzerrungen für menschliches Verhalten aufzeigten.

Die zweite Welle, angetrieben von der Verhaltens­ökonomie, führte das Konzept des Nudging ein. Richard Thaler und Cass Sunstein zeigten in ihrem einflussreichen Werk Nudge (2008), wie subtile Veränderungen in der Entscheidungs­architektur Menschen dazu bewegen können, vorteilhaftere Entscheidungen zu treffen, ohne ihre Freiheit einzuschränken. Dieser Ansatz fand rasch Anklang bei politischen Entscheidungs­trägern und wurde in verschiedenen Bereichen wie Gesundheit, Finanzen und Umwelt­politik erfolgreich angewandt

Mit der dritten Welle erreichte die verhaltens­orientierte öffentliche Politik eine Phase der praktischen Anwendung. Initiativen wie das britische Behavioural Insights Team (BIT) und das amerikanische Social and Behavioural Sciences Team (SBST) setzten dieses Wissen ein, um Interventionen zu entwickeln, die reale Heraus­forderungen adressieren, etwa die Verbesserung der Steuerehrlichkeit oder die Förderung von Energie­einsparungen.

Gleichzeitig traten die Grenzen dieser Ansätze deutlicher zutage. Die starke Abhängigkeit von Forschungs­ergebnissen aus WEIRD-Populationen (Western, Educated, Industrialised, Rich, Democratic) stellte die Übertrag­barkeit auf nicht-westliche und kulturell vielfältige Kontexte in Frage. Zudem zeigte die Kontext­abhängigkeit vieler Verhaltens­interventionen, dass ein flexiblerer und kulturell sensibler Ansatz notwendig ist, um die komplexen Realitäten globaler Gesell­schaften angemessen zu berücksichtigen.

Die vierte Welle: Integration von kultureller Evolution und Verhaltens­wissenschaft

Die kultur­evolutionäre Verhaltens­wissenschaft bietet eine vielver­sprechende Lösung für die genannten Heraus­forderungen, indem sie die Prinzipien der kulturellen Evolution mit der Verhaltens­wissenschaft verbindet. Dieser Ansatz erkennt an, dass menschliches Verhalten sowohl durch genetisches als auch durch kulturelles Erbe geprägt wird, wobei die kulturelle Evolution weitaus schneller verläuft als die genetische. Durch ein tieferes Verständnis darüber, wie kulturelle Merkmale weitergegeben werden und sich im Laufe der Zeit entwickeln, können politische Entscheidungs­träger Interventionen gestalten, die nicht nur effektiv, sondern auch auf die kulturellen Kontexte abgestimmt sind, in denen sie umgesetzt werden.

Ein zentrales Konzept der kultur­evolutionären Verhaltens­wissenschaft ist die Theorie des dualen Erbes (Dual Inheritance Theory, DIT). Diese postuliert, dass menschliches Verhalten von zwei miteinander verbundenen Systemen beeinflusst wird: genetischem und kulturellem Erbe. Während genetische Evolution sich über Jahrtausende hinweg vollzieht, kann kulturelle Evolution innerhalb einer einzigen Generation signifikante Verhaltens­änderungen bewirken. Dieser schnelle kulturelle Wandel wird durch Mechanismen wie soziales Lernen angetrieben, bei dem Individuen Verhaltens­weisen von anderen Mitgliedern ihrer Gemeinschaft übernehmen. Dabei spielen soziale Lernver­zerrungen – etwa die Präferenz, von erfolgreichen, angesehenen oder der Mehrheit angehörenden Individuen zu lernen – eine entscheidende Rolle. Diese Verzerrungen steuern die Weitergabe kultureller Merkmale und prägen kollektives Verhalten.

Muthukrishna und Schimmelpfennig (2023) heben hervor, dass die Berücksichtigung kultureller Evolution ein zentraler Faktor bei der Gestaltung effektiver und kontextsensibler Politiken ist. Sie argumentieren, dass die Einbindung kultureller Dynamiken nicht nur die Wirksamkeit von Interventionen steigert, sondern auch deren langfristige Akzeptanz und Nachhaltigkeit sicherstellt.

Die Rolle von Normen und Kooperation in der kulturellen Evolution

Die Normenpsychologie, ein zentraler Bestandteil der kulturevolutionären Verhaltens­wissenschaft, erforscht, wie soziale Normen innerhalb von Gruppen entstehen, sich verbreiten und durchgesetzt werden. Soziale Normen sind einflussreiche Treiber menschlichen Verhaltens, da sie definieren, was innerhalb einer Gemeinschaft als akzeptabel oder inakzeptabel gilt. Forschungen von Robert Cialdini zeigen, dass Menschen stark von ihrer Wahrnehmung beeinflusst werden, wie sich andere verhalten. Diese Einsicht macht Normen zu einem wirkungsvollen Instrument für politische Maßnahmen. Öffentliche Kampagnen, die die Verbreitung positiver Verhaltens­weisen wie Recycling oder Wählen hervorheben, können soziale Normen gezielt nutzen, um deren breite Akzeptanz zu fördern.

Das Konzept der Cultural Group Selection erweitert dieses Verständnis, indem es postuliert, dass Gruppen mit ausgeprägten kooperativen Normen in wettbewerbs­orientierten Umgebungen erfolgreicher sind. Die Kooperations­psychologie erforscht die Mechanismen, die Zusammen­arbeit zwischen Individuen ermöglichen, selbst in Situationen, in denen persönlicher Nutzen nicht unmittelbar ersichtlich ist. Forschungen von Samuel Bowles und Herbert Gintis (Gintis, 2000; Bowles und Gintis, 2002, 2011) zeigen, dass kooperatives Verhalten häufig durch soziale Normen und kulturelle Praktiken gestützt wird, die Gruppen­zusammenhalt und kollektives Handeln fördern.

Henrich (2004) führt dieses Konzept weiter aus und erläutert, wie Prozesse der kulturellen Gruppen­selektion und koevolutionäre Mechanismen groß angelegte Kooperation ermöglichen können. Diese Formen der Kooperation sind essenziell für den Erfolg öffentlicher Politiken, die darauf abzielen, kollektives Handeln in diversen Gesellschaften zu stärken.

Anwendung der kulturellen Evolution in der öffentlichen Politik

Die Integration dieser Konzepte in die traditionelle Verhaltens­wissenschaft ermöglicht ein umfassenderes Verständnis menschlichen Verhaltens. Während die klassische Verhaltenswissenschaft Individuen oft als isolierte Akteure betrachtet, betont die kultur­evolutionäre Verhaltens­wissenschaft die Bedeutung kultureller Übertragungs­prozesse und kollektiver Dynamiken, die individuelles Verhalten prägen. Dieser Ansatz ist besonders hilfreich, um zu verstehen, wie kulturelle Faktoren, etwa Normen zu Fairness und Kooperation, zwischen Gesell­schaften variieren und politische Interventionen beeinflussen.

Joseph Henrichs Forschung zur kulturellen Evolution hat signifikante Unterschiede in Normen zu Fairness und Kooperation zwischen verschiedenen Gesellschaften aufgezeigt. So illustrieren seine Untersuchungen zum Ultimatumspiel, wie kulturelle Unterschiede die Wahr­nehmung von Fairness prägen und dadurch die Reaktionen auf wirtschaft­liche Anreize entscheidend beeinflussen. Diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass politische Maßnahmen an die spezifischen kulturellen Kontexte angepasst werden müssen, in denen sie umgesetzt werden sollen, um ihre Wirksamkeit zu maximieren.

Henrich et al. (2001) untermauern diese Perspektive in ihrer Studie über 15 lokale Gemein­schaften, in der sie zeigen, dass ökonomische Verhaltens­weisen stark von lokalen kulturellen Normen abhängen. Diese Ergebnisse betonen die Notwendigkeit kultur­sensibler politischer Interventionen und unter­streichen die Grenzen universeller Ansätze im Politikdesign.

Interventionen kontextua­lisieren: Die Bedeutung kultureller Sensibilität

Eine zentrale Erkenntnis der kulturevolutionären Verhaltenswissenschaft ist die Notwendigkeit, Interventionen in ihren spezifischen Kontext einzubetten. Politische Maßnahmen, die ohne Berücksichtigung der kulturellen und historischen Gegebenheiten entwickelt werden, in denen sie umgesetzt werden sollen, scheitern häufig. Ein tiefgreifendes Verständnis der kulturellen und kontextuellen Faktoren, die Verhalten prägen, ermöglicht es politischen Entscheidungs­trägern, Interventionen zu gestalten, die besser auf die spezifischen Bedürfnisse und Bedingungen unterschiedlicher Bevölkerungs­gruppen abgestimmt sind.

Ein Beispiel dafür ist eine Gesundheits­intervention, die in einem kulturellen Umfeld erfolgreich ist, jedoch erhebliche Anpassungen erfordern kann, um in einem anderen Kontext wirksam zu sein. Michele Gelfands (2019) Forschung zu kultureller Strenge (tightness) und Lockerheit (looseness) zeigt, wie Gesellschaften in ihrer Toleranz gegenüber Abweichungen von sozialen Normen variieren. In „strengen“ Kulturen werden Normen rigoroser durchgesetzt, während in „lockeren“ Kulturen eine größere Nachsicht gegenüber Abweichungen herrscht. Diese Unterschiede haben direkte Auswirkungen auf die Gestaltung von Politiken. In strengen Kulturen können Interventionen, die sich an bestehenden Normen orientieren, effektiver sein, während in lockeren Kulturen Maßnahmen erforderlich sein können, die gezielt Normveränderungen fördern.

Henrich (2001) untersucht darüber hinaus, wie voreingenommene kulturelle Übertragungs­prozesse die Verbreitung von Innovationen beeinflussen. Seine Forschung legt nahe, dass das Verständnis solcher Übertragungs­verzerrungen entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung neuer Politiken und Praktiken ist.

Kulturelle Vielfalt als Ressource in der Politik­gestaltung

Kulturelle Vielfalt stellt politische Entscheidungs­träger vor Heraus­forderungen, eröffnet jedoch gleichzeitig bedeutende Chancen. Einerseits müssen politische Maßnahmen ausreichend flexibel sein, um unterschied­lichen kulturellen Normen und Praktiken gerecht zu werden. Andererseits kann kulturelle Vielfalt eine wertvolle Ressource darstellen, da sie ein breites Spektrum an kulturellen Praktiken und Wissen bietet, das gezielt genutzt werden kann, um positive Verhaltens­weisen zu fördern. Der Schlüssel liegt in der Zusammen­arbeit mit lokalen Gemeinschaften, um deren kulturelle Werte und Praktiken zu verstehen. Auf dieser Grundlage lassen sich Interventionen entwickeln, die nicht nur effektiver sind, sondern auch eine höhere Akzeptanz und langfristige Umsetzung finden.

Ein prägnantes Beispiel dafür ist der Erfolg der Swachh-Bharat-Kampagne (Clean India), der in ihrer Fähigkeit liegt, kulturelle Werte wie Sauberkeit und Gemeinschafts­stolz zu mobilisieren – tief verankerte Aspekte der indischen Gesellschaft. Durch die Einbindung lokaler Führungs­persönlichkeiten und die gezielte Nutzung bestehender kultureller Narrative konnte die Kampagne einen umfassenden Wandel im Verhalten bewirken.

Dieser Fall verdeutlicht, wie entscheidend es ist, politische Interventionen kulturell abzustimmen. Nur wenn Maßnahmen an die spezifischen Werte und Praktiken einer Gemeinschaft anknüpfen, können sie nicht nur kurzfristige Veränderungen bewirken, sondern auch nachhaltig verankert werden.

Chancen und Risiken digitaler Interventionen

Das digitale Zeitalter hat neue Dynamiken in den Prozess kultureller Evolution eingeführt, wobei Technologie und soziale Medien eine zentrale Rolle bei der Verhaltens­gestaltung spielen. Digitale Plattformen können die Verbreitung kultureller Praktiken und Normen erheblich beschleunigen und bieten damit mächtige Werkzeuge für politische Interventionen. Gleichzeitig bergen sie jedoch Heraus­forderungen, wie die rasche Verbreitung von Fehlinfor­mationen oder die Aneignung kultureller Praktiken auf eine Weise, die von deren ursprünglicher Intention abweicht. Entscheidungs­träger müssen digitale Interventionen sorgfältig gestalten, um die positiven Aspekte der Technologie zu nutzen und gleichzeitig potenzielle Nachteile zu minimieren.

Forschungen von Aral et al. (2009) und Aral (2021) zeigen, dass soziale Medien gezielt eingesetzt werden können, um positive Verhaltens­weisen zu fördern, etwa die Steigerung der Wahl­beteiligung oder die Förderung gesunder Lebensweisen. Allerdings können dieselben Platt­formen auch negative soziale Normen verstärken, was die Gestaltung digitaler Inter­ventionen besonders anspruchsvoll macht. Es ist essenziell, die komplexen Dynamiken der digitalen Kultur zu berücksichtigen.

Ein Beispiel sind Kampagnen, die das Prinzip des sozialen Beweises nutzen – das Phänomen, dass Menschen durch das Verhalten anderer beeinflusst werden. Solche Ansätze können in digitalen Räumen besonders wirksam sein, um prosoziales Verhalten zu fördern. Der Erfolg digitaler Inter­ventionen hängt daher entscheidend davon ab, die Balance zwischen den Möglich­keiten und Risiken der Technologie zu finden und Strategien zu entwickeln, die sowohl kulturelle als auch digitale Dynamiken berücksichtigen.

Soziale Kipp­punkte: Die Nutzung endogener kultureller Verän­derungen

Die kulturelle Evolution wird häufig durch endogene Prozesse vorangetrieben, bei denen kleine Veränderungen innerhalb einer Kultur im Laufe der Zeit zu bedeutenden Verhaltens­änderungen führen können. Ein Verständnis dieser Prozesse kann politischen Entscheidungs­trägern dabei helfen, soziale Kipppunkte zu identifizieren – Momente, in denen eine geringe Intervention weitreichende Verhaltens­änderungen auslösen kann. Forschungen von Centola (2010) über Dynamiken in sozialen Netzwerken zeigen, dass Verhaltens­änderungen sich rasch innerhalb von Netzwerken verbreiten können, sobald ein Kipppunkt erreicht ist. Dadurch wird es möglich, mit vergleichsweise kleinen Eingriffen umfassende Veränderungen zu bewirken.

Ein Beispiel hierfür ist Centolas (2018) Arbeit zu gesundheits­bezogenen Verhaltensweisen, die zeigt, dass das strategische Ansprechen zentraler Individuen innerhalb eines Netzwerks Kaskadeneffekte erzeugen kann, die die gesamte Bevölkerung beeinflussen. Indem politische Entscheidungs­träger diese Kipppunkte identifizieren und gezielt nutzen, können sie Interventionen entwickeln, die sowohl effizient als auch wirkungsvoll sind und mit minimalem Ressourcen­einsatz weitreichende Veränderungen erreichen.

Handlungs­empfehlungen

  1. Kulturelle Kontext­analysen verpflichtend einführen: Kulturelle Kontext­analysen sollten als obligatorischer Schritt in die Politikgestaltung integriert werden. Diese Analysen untersuchen kulturelle, historische und soziale Faktoren, die den Erfolg politischer Maßnahmen beeinflussen können. Eine frühzeitige Integration solcher Analysen ermöglicht es politischen Entscheidungs­trägern, Inter­ventionen zu entwickeln, die kulturell fundiert und kontextsensibel sind.
  2. Kulturelle Evolutions­metriken entwickeln und anwenden: Es sollten kulturelle Evolutions­metriken erarbeitet werden, um nachzuvollziehen, wie politische Maßnahmen kulturelle Dynamiken im Zeitverlauf beeinflussen. Diese Metriken sollten Veränderungen sozialer Normen und kultureller Praktiken messen und in Evaluations­rahmen eingebettet werden, um nachhaltige politische Ergebnisse sicherzustellen.
  3. Gemeinschafts­basierte Co-Gestaltungs­workshops fördern: Gemeinschafts­basierte Co-Gestaltungsworkshops sollten etabliert werden, in denen lokale Interessen­gruppen und politische Planer gemeinsam Interventionen entwickeln. Dieser partizipative Ansatz stellt sicher, dass politische Maßnahmen an die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Gemeinschaft angepasst sind und auf deren Unterstützung und Mitwirkung stoßen.
  4. Kulturelle Kompetenz durch gezielte Schulungen fördern: Trainings zur kulturellen Kompetenz sollten für öffentliche Entscheidungs­träger eingeführt werden, um ihr Verständnis kultureller Vielfalt in der Politik­gestaltung und -umsetzung zu vertiefen. Diese Schulungen vermitteln die notwendigen Fähigkeiten, um in komplexen kulturellen Kontexten erfolgreich zu navigieren und inklusivere sowie effektivere Politiken zu entwickeln.

Fazit

Die vierte Welle der verhaltens­orientierten öffentlichen Politik, gestützt auf die kulturevolutionäre Verhaltenswissenschaft, eröffnet einen vielver­sprechenden Ansatz zur besseren Analyse und Beein­flussung menschlichen Verhaltens. Indem sie Erkenntnisse der kulturellen Evolution integriert, überwindet diese Herangehensweise viele Einschränkungen traditioneller Verhaltens­wissenschaften und bietet ein umfassenderes, kontextsensibleres Rahmenwerk für die Politikgestaltung. Ihr transformatives Potenzial ist erheblich, insbesondere in der Entwicklung von Inter­ventionen, die kulturell adaptiv, nachhaltig und in diversen Kontexten wirksam sind.

Mit der fortgesetzten Erforschung und Anwendung dieser Prinzipien durch politische Entscheidungs­träger, Forschende und Praktiker ergibt sich die Möglichkeit, Politiken zu entwerfen, die über kurzfristige Erfolge hinausgehen und langfristigen kulturellen Wandel fördern. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Einsichten der kultur­evolutionären Verhaltens­wissenschaft in das Design und die Umsetzung zukünftiger Politiken einzubeziehen. Durch die konsequente Nutzung dieser vierten Welle kann ein inklusiverer, wirksamerer und nachhaltiger Ansatz für öffentliche Politik entstehen – ein Ansatz, der die Vielfalt und Komplexität kultureller Kontexte nicht nur berücksichtigt, sondern aktiv in seine Gestaltung einfließen lässt.

 

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